K. Markus: Visual Culture and Politics in the Baltic Sea Region

Cover
Titel
Visual Culture and Politics in the Baltic Sea Region, 1100–1250.


Autor(en)
Markus, Kersti
Reihe
East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 411 S.
Preis
€ 139,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Trinkert, Institut für Kunstgeschichte, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bereits in ihrer 1999/2000 veröffentlichten Dissertation Från Gotland til Estland (Von Gotland nach Estland)1 legte Kersti Markus die Grundlage für ihre kunsthistorische Auseinandersetzung mit der Verbreitung skandinavischer Kunst im Ostseeraum seit dem 12. Jahrhundert, ihren politischen Implikationen für das dynamische Machtgefüge geistlicher und weltlicher Herrschaft sowie für das Handelsinteresse in dieser zunehmend vernetzten Region. Ausgehend von diesen frühen Studien zur mittelalterlichen Sakralkunst auf Gotland und ihren Auswirkungen auf die visuelle Kultur in Estland im 13. Jahrhundert befasst sich Markus seitdem immer wieder mit entsprechenden Fallstudien zu Objekten, Bildthemen und Akteur:innen, vor allem in dänisch-estnischen Kontexten, sodass die vorliegende Studie Visual Culture and Politics in the Baltic Sea Region, 1100–1250 die Essenz ihrer Forschung kongruent und gut lesbar weiterdenkt. Die zeitliche Einordung begründet Markus mit dem Ende des dänisch geprägten Ersten Kreuzzugs im Norden 1099 und dem Vertrag von Stensby zwischen Valdemar II. von Dänemark (1170–1241, reg. 1202–1241) und dem Deutschen Ordnen 1238, mit dem das dänische Kreuzfahrer-Engagement in Livland abgeschlossen war.

Den roten Faden ihrer Studie benennt Kersti Markus im letzten Satz ihres Buches: „For a very brief period, the periphery became the centre“ (S. 356), und fasst damit sowohl das dänische Vorhaben, nach der Eroberung Jerusalems 1187 ein Neues Jerusalem im Norden zu errichten, wie auch die überwiegend mitteleuropazentrierte (kunsthistorische) Forschungsperspektive pointiert zusammen. In fünf Kapiteln stellt Markus dazu einzelne Aspekte der Verknüpfung von visueller Kultur und Politik im 12. und 13. Jahrhundert im Ostseeraum vor. Diese befassen sich mit der Missionierung und Kolonialisierung des Baltikums aus westlichen Territorien auf Grundlage der jeweiligen bildzeichenhaften Selbstvergewisserung, die sich in der Architektur und Bildsprache der unterschiedlichen Regionen wechselseitig manifestierte. Den Ausgangspunkt bilden die topografischen Schwerpunkte Dänemark, Schweden und Gotland, während als Akteure weltliche Herrscher, Deutschordensritter sowie deutsche Kaufleute und der Zisterzienserorden identifiziert werden. Abschließend thematisiert Markus die Manifestation der erfolgreichen Kolonisation an der baltischen Ostseeküste durch den Bau von Befestigungsanlagen, Klöstern sowie den Stadtgründungen von Riga und Tallinn.

Kersti Markus geht es in ihren Untersuchungen zur visuellen Kultur weniger um die isolierte kunsthistorische Funktionsanalyse der Werke als um deren Repräsentation in einem komplexen politischen Koordinatensystem: Den kulturhistorischen Quellenwert der Bauten und Objekte bemisst sie daher im Kontext ihrer gesamten visuell wahrnehmbaren Umgebung – „[…] the subject of research is the entire visually perceivable living environment“ (S. 2) – und als Teil von Interaktions- und Kommunikationsprozessen. Im Vordergrund stehen vor allem diejenigen Objekte der visuellen Kultur, die in solchen Prozessen oft komplementär zu schriftlichen Quellen entstanden sind und verstanden werden sollten: „It will be interesting to see, if visual sources can fill some gaps left by written material, or perhaps open up some still untrodden path for history writing“ (S. 14). Konkret handelt es sich überwiegend um ortsfeste Zeugnisse mittelalterlicher Kunst, vor allem Kirchen, ihre Bauplastik, Wandmalereien oder Steintaufen.

Die politischen Entwicklungen in Dänemark bilden die Grundlage für weitere Beobachtungen und nehmen entsprechenden Raum ein: Die theokratische Monarchie der Valdemar-Dynastie, flankiert von Erzbischof Eskil und mächtigen Adelsgeschlechtern, ließ in den 1170er-Jahren ein künstlerisches Programm entstehen, das einerseits die von Gott gegebene Gesellschaftsordnung visualisierte und damit manifestierte, andererseits der mentalen Vorbereitung von Kreuzzügen nach Livland diente. So entstanden charakteristische romanische Rundkirchen, etwa in Schleswig, Roskilde oder Helsingborg, die formal an der Grabeskirche in Jerusalem orientiert sind, oder das Taufbecken in Valleberga (Skåne), das den Triumph von Papst Alexander III. (1100/1105–1181, amt. 1159–1181) über Friedrich I. Barbarossa (1122–1190, reg. 1155–1190) zeigt, dem Erzbischof Eskil auf der Darstellung beiwohnt. Während der Regierung Knuts VI. (1163–1202, reg. 1182–1202) und der Amtszeit von Erzbischof Absalon von Lund dominierten hingegen einfache, aber imponierende Architekturformen wie die primär zu militärischen Zwecken errichtete Sankt-Ols-Kirche auf Bornholm sowie die schlossartige Kirche in Kalundborg. Unter Valdemar II. und Erzbischof Anders wurden Rundkirchen überwiegend an zentralen Kreuzfahrerorten errichtet, zum Beispiel in Store Heddinge (Sjælland). Wandmalereien, wie jene in der Kirche in Ål (Sønderjylland), bringen Schlachtenszenen in den Kontext des Jüngsten Gerichts und auch das Relief am Südportal des Doms in Ribe verweist auf die Absolution für Kreuzzüge nach Livland, in dem die Muttergottes Valdemar II. das Kreuz überreicht, während dessen Sohn Valdemar (III.) der Junge (1209–1231) unter dem Schutz Christi steht.

Sodann richtet Kersti Markus ihren Blick auf Schweden, in dem die politische Situation anders gelagert war, da die christliche Bevölkerung neben der heidnischen im dünn besiedelten Land lebte. Zwischen Dänen und Schweden kam es an Grenzbereichen zu Konflikten; vor allem strategisch günstig gelegene Orte befanden sich daher in dänischer und schwedischer Einflusssphäre. Die hauptsächliche Seeroute nach Norden und Osten verlief seit der Wikingerzeit zwischen Öland und dem schwedischen Festland und führte entweder nach Svealand, Finnland und Tallinn, oder nach Gotland und Livland. Erst im 12. Jahrhundert wurde Schweden mit den Erzbistümern Lund und Uppsala eigenständige Kirchenprovinz, doch spielte Erzbischof Eskil weiterhin eine wichtige Rolle: Rundkirchen wurden auch hier vor allem in der Nähe von Thing-Plätzen, Versammlungsorten der Kreuzfahrer und regional bedeutenden Begräbnisstätten errichtet. Die Rolle der Inseln Bornholm und Öland war in diesem geografisch-strategischen Kontext zentral, während die Bauaktivitäten und künstlerische Formensprache offensichtlich ohne Referenz zum traditionellen ländlichen Leben der lokalen Bevölkerung stattfand, sondern Ausdruck von Macht der jeweils herrschenden lokalen Adeligen war.

Als ausgewiesene Kennerin wendet sich Kersti Markus an dieser Stelle Gotland und vor allem Visby zu, das seit der Wikingerzeit Schmelztiegel und Knotenpunkt zwischen Christen, Heiden und den Rus sowie für Kreuzzüge in der Ostsee war und ferner die Grenze der römisch-katholischen Welt darstellte. Sie thematisiert das Fehlen schriftlicher Quellen zur Anwesenheit von Skandinaviern auf der Insel als Ursache für ein verzerrtes Geschichtsbild, das Gotland in der Wahrnehmung bislang zu einer Kolonie deutscher Kaufleute machte. Zentral in ihrer Argumentation ist die Analyse der Marienkirche und der Olavskirchen sowie ihre Einbettung in die städtische Landschaft, etwa die Lage der Kirchen in Visby in Bezug zu früheren Kultstätten, oder auch die Rolle der Stadt als Ausgangspunkt für Kreuzzüge ins Baltikum. Hier hätte die Bedeutung der einheimischen Gotländer in dieser Gemengelage und die außerordentliche Anzahl ihrer Landkirchen, inklusive der bedeutenden Ausstattung von internationalem Rang und Vernetzung in Nordeuropa und auf den Kontinent, eine größere Berücksichtigung finden können.

Wie auch in den vorhergehenden Kapiteln zieht Markus für ihre Darstellungen der Eroberungen, Besiedlungen und Städtegründungen an der baltischen Ostseeküste internationale und interdisziplinäre Forschungen aus historischer, theologischer und archäologischer Perspektive hinzu. Markus wirbt für eine Revision der traditionellen Interpretation, dass Deutsche in den 1180er-Jahren erstmals mit einem Handelsinteresse in der Region erschienen, und plädiert für eine Neubewertung der etwa hundert Jahre früheren dänischen Aktivitäten im Zuge der Christianisierung unter Svend Estridsen (um 1020–1076, reg. 1047–1076) (S. 238–240), die vermutlich im Zusammenhang mit einem ersten Kirchenbau auf Saaremaa standen. Dezidiert befasst sie sich mit der dänischen Stadtgründung Tallinns und ebenjener deutschen Rigas sowie mit der Rolle der Zisterzienser, die sich vor allem auch in der visuellen Kultur abbilden. Anhand der Marienkirchen in Riga und in Visby weist sie nach, dass Architekturformen und Bauplastik eine Synthese von Stilen diverser rheinisch-westfälischer Vorbilder sind, die voraussichtlich analog zur Herkunft der zu unterschiedlichen Zeitpunkten jeweils anwesenden Handelsleute und Kreuzfahrer (S. 293) zu verstehen sind. Davon leitet Markus ab, dass die verantwortlichen Steinmetze und Bildhauer je nach Auftragslage in dieser gemeinsamen Region – Gotland, Riga und westliches Estland – zirkulierten.

Das Buch eröffnet einen umfassenden Überblick über die politischen und wirtschaftlichen Strategien der beteiligten weltlichen und geistlichen Akteure, zu denen auch Kreuzzüge gehörten. Dabei richtet sich der Fokus der Kunsthistorikerin Kersti Markus vor allem auf Kirchen und ortsfeste bauplastische Dekoration als visuelle Quellen politischer Propaganda und Repräsentation. Ihr interdisziplinärer, transkultureller und kulturhistorischer Zugriff zeichnet ein lebhaftes Bild der unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen. Dieser führt sie ferner zu einem Plädoyer für eine Revision der Historiografie der Kreuzzüge im Norden, für die sie mit diesem Buch über die materielle Kultur des Hochmittelalters den Weg weiter ebnet. Sie zeigt überzeugend, dass der Ostseeraum bereits im 12. und 13. Jahrhundert eine eng vernetzte Kulturlandschaft war, in der die führenden Eliten und damit auch ihr künstlerisches Engagement in allen Belangen auf der Höhe der Zeit in Europa waren. Ihre Argumentation lässt sich auch anhand der zahlreichen (Farb-)Abbildungen, Pläne und Karten sowie eines Namens- und Ortsregisters sehr gut nachverfolgen. Abgesehen von kleineren inkongruenten Übersetzungen, etwa „Brethren of St. Canute“ und „Brothers of St. Canute“, erschließt Kersti Markus mit diesem Buch zudem eine Vielzahl an nordisch- und baltischsprachigen Forschungen zum Thema, die sehr inspirierend für zukünftige Überlegungen sein werden.

Anmerkung:
1 Kersti Markus, Från Gotland till Estland. Kyrkokonst och politik under 1200-talet. Stockholm 2000.